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Radikalkur für Istanbuls Taksim-Platz regt Bürger auf
Markus Bernath, DER STANDARD, 5.11.2012
Istanbuls größter Platz wird stillgelegt: Betonplatte für Fußgänger, Tunnels für Autos
"Fällt Ihnen etwas auf?", fragt Cem Tüzün und deutet aus seinem roten Plüschsessel mit den Riesenohren hinaus auf den Platz. Großes graues Einerlei, Busse, Taxis, endlos Passanten, die in alle Richtungen eilen, und immer die Polizei, Gewehr im Anschlag. Schön ist er nicht gerade, der Taksim, Istanbuls größter Platz.
Und er hat eine Besonderheit. "Es gibt keinen Verkehrsstau. Alles fließt", sagt Tüzün und beantwortet seine Frage selbst. 300 Autos mögen es sein, die man an einem gewöhnlichen Nachmittag unter der Woche vom Café des Marmara-Hotels aus gleichzeitig auf dem Taksim-Platz sieht; die meisten halten gerade an und lassen Fahrgäste ein- oder aussteigen. Aber wenn es kein Problem mit dem Verkehr gibt, dann gibt es auch keinen Grund für einen Radikalumbau des Taksim mit sieben Autotunneln und einem zerstörten Park. Sagen Cem Tüzün und die anderen Streiter von der Taksim-Plattform, einer Vereinigung von Architekten, Stadtplanern, Umweltschützern und empörten Bürgern.
Trotzdem ist der große Platz am Ende des Istiklal, Istanbuls bekannter Einkaufsmeile, ab heute für den Straßenverkehr zum Teil gesperrt. Der Umbau des Taksim hat begonnen. Gebaggert wird schon seit ein paar Tagen, den Park am Ostrand des Platzes haben Arbeiter am Wochenende hinter Pressspanplatten verpackt. In einem Jahr soll alles vorbei sein.
Stadt platzt aus allen Nähten
Istanbuls Bürgermeister Kadir Topbas, ein treuer Gefolgsmann von Regierungschef Tayyip Erdogan, der selbst einmal die Wirtschaftsmetropole am Bosporus führte, argumentiert mit dem großen Ganzen - der enormen Zuwanderung nach Istanbul und einer jahrzehntelangen Geschichte planlosen Bauens; 70 Prozent der Gebäude in der Stadt haben keine Baugenehmigung oder bekamen erst nachträglich eine. Die Einwohnerzahl liegt heute bei über 13 Millionen; im Jahr 2050 könnten es 20 Millionen sein.
Dass deshalb aber der Taksim-Platz auf der europäischen Seite radikal umgebaut werden muss, leuchtet nicht allen ein. Mehr als 1000 Einsprüche haben Bürger bei der Stadtverwaltung angemeldet. Der Bürgermeister machte trotzdem weiter. Premier Erdogan will es so: Eine riesige Betonplatte für Fußgänger wird den Platz mit seinem Kreisverkehr und der zentralen Bushaltestelle ersetzen. Passanten werden sich scheuen, über eine so gewaltige freie Betonfläche zu gehen, sagen Kritiker voraus.
Einkaufszentrum oder Präsidentenpalast
Der Taksim wird untertunnelt, der Park - Istanbul hat nur sehr wenige Grünanlagen - zum Innenhof eines Garnisonsgebäudes, das ähnlich bereits im 19. Jahrhundert einmal dort stand. Was genau in den Garnisonsbau soll, steht nicht im Bauplan. Noch mehr Shoppingmalls und Boutiquen, mutmaßen die Aktivisten der Taksim-Plattform - oder vielleicht Erdogans Präsidentenpalast in Istanbul. 2014 will sich der machtbewusste Regierungschef ins Amt des Staatspräsidenten wählen lassen.
"Der Taksim-Platz ist sehr wichtig für unsere Demokratie", erklärt Cem Tüzün. Er war 14, als er 1977 mit seinen Eltern zum 1. Mai auf den Taksim ging. Der Tag ging in die Geschichte der Republik ein. Scharfschützen feuerten auf die Demonstranten, mindestens 34 Menschen starben. Die Täter wurden nie belangt.
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